Dienstag, 30. Juli 2013

Birkenkopf bei Nacht



Ich habs getan! Ja, ich hab es wirklich getan! Und bin ganz stolz auf mich. Gell? Ihr kennt es bestimmt, wenn man etwas getan hat…was man eigentlich vernünftigerweise nicht sollte? Vernunft?! Wer sagt denn, was man darf und was nicht? Ja, ich habs getan….und bin stolz darauf. Nun überwiegt das Glücksgefühl.
Von was ich spreche? Etwa neugierig???? Ja, ich hab eine Nacht ganz alleine draußen verbracht. Nicht in einem Garten, nicht auf dem Balkon, nicht auf dem Campingplatz…ha, nein, wirklich im Freien….mit Blick auf Stuttgart. Und ich kann euch sagen….Es war eine Mischung zwischen Unbehagen, weil ich nicht wußte….was geschehen kann in dieser Nacht…aber auch ein unbeschreibliches Gefühl…alleine…oben auf einem Berg. Namens Birkenkopf in Stuttgart.
Und gespannt wartete ich, auf dass was so geschehen wird.........geschehen wird...???
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BIRKENKOPF-im Volksmund auch MONTE SCHERBELINO genannt-ist kein "normaler" Berg.
Er ist der höchste Punkt im inneren Stadtgebiet, aber dennoch etwas abgelegen.
Der Birkenkopf ist 511 m hoch, aber dennoch sind die letzten 40 m nicht "natürlich" entstanden. Sondern ganze 1.5 Millionen Kubikmeter (!) sind Trümmerschutt aus dem Zweiten Weltkrieg. Vorwiegend gipshaltiges Restmaterial. Bruchsteine hat man hingegen nach 1945 recyceln können. Nähere Infomationen beim Verein Schutzbauten Stuttgart e.V. od.siehe--> LINK
Fazit meiner Übernachtung: WAS FÜR EIN KOMMEN UND GEHEN DA OBEN !!
Mimis Tagebuchauszug von Mittwoch, den 17.7. bis darauf folgenden Tage. Diese Tage waren keine Ferientage.

Mittwoch, den 17.7.2013                                                                        
20 Uhr Vortrag im Planetarium "Nachthimmel über Stuttgart" teilgenommen.
23.00 Uhr auf dem Weg zum Bus. Stelle noch vor dem Haus fest, dass ich meine Taschenlampe vergessen hab. Entscheidung zwischen Bus verpassen od. die Nacht ohne Taschenlampe. Okay. Egal. Schnell zum Bus…
24 Uhr auf dem Birkenkopf oben angelangt. Auf die Parkbank gesetzt. Mit Blick über Stuttgart. Leider Wolken am Himmel. Keine Sterne sichtbar. Grundwissen vom PlanetariumVortrag wohl leider nicht anwendbar. Menschenleer der Berg. Nur ein Liebespärchen am anderen Ende der Plattform war zu hören.Beziehunsgweise lachte nur SIE(!) STÄNDIG. In der Regel finde ich Liebespärchen süß. Sollen sie doch! Ich wünsche Ihnen ALLES GUTE(!)....ABER HIER...HIER....DIESE SCHÖNE KULISSE VOR AUGEN...Also, auf Dauer nervte mich IHR(!) GELÄCHTER. Ob ER wohl das auch denken mag?! Überlege ich so ?!...mit Blick auf die Lichter der Stuttgarter Innenstadt.
0.15 Uhr Bettlager vorbereitet. Und immer dieses Gekicher von hinten. Misstrauen. Ich mach die Augen nicht zu. Irgendwann eingeschlafen.
0.40 Uhr Ich werde wach. Von unten höre ich Stimmen und Taschenlampen leuchten. Gelächter. Eine Gruppe kommt den Berg hinauf. Allerdings höre ich hier oben auf der Plattform kein Gekicher mehr. Demnach bin ich alleine. Noch! Oh Gott, was nun? Hoffentlich bemerkt mich keiner.
0.45 Uhr Es ist eine große Gruppe .Und sie setzen sich ausgerechnet (!) neben mich auf die zweite Bank. Herzklopfen.Schiss.Schutzsuchend in meinem Schlafsack eingemummelt, schaute ich hinüber. Griffbereit ein KO-Gasfläschchen in der Hand.Sie erschrecken als sie mich sehen.Einer fragte, ob das KO-Gas sei, was ich da in der Hand halte? Ich sage nur: "Lasst mich in Ruhe, dann lass ich euch in Ruhe!" „Okay…alles klar…wir trinken auch nicht. Ist nur Wasser. Du brauchst keine Angst haben.Bist du alleine? Was machst du hier? Hast du kein Heim?“ Ich wiederholte nur meinen Satz: "Lasst mich in Ruhe, dann lass ich euch in Ruhe!“
0.55 Uhr Sie sind zu laut. Ich setze mich aufrecht hin und sage: „Also Jungs, nun kann ich nicht schlafen, ihr seid zu laut. Was macht ihr eigentlich mitten in der Woche hier? Müßt ihr nicht morgens arbeiten?“ Ich kann euch sagen...kicher...Das war der Auftakt. Der Auftakt zu einem lange Gespräch.Sie stellten sich vor. Alles Jungs um die 30 Jahre alt. Ich fühlte mich sicher.Ein bisschen wie Schneewitchen bei den Sieben Zwergen.MMhhh...Schmunzel etwas bei dem Gedanken : "Vielleicht sollte ich nicht so viele Märchen anschauen?!" Dabei war die ganze Situation komisch. Stellt euch vor, ich saß ganz allein auf einer laaangen Bank. Alle 12 Jungs hingegen teilten sich die gleichlange Bank daneben. Ganz Gentleman, machte keiner Anstalten etwa während unseres Gespräches sich auf meine Bank setzen zu wollen.
bis 1.50 Uhr Wir diskutierten über die Demokratie, die Geschichte dieses Berges, die Partys hier oben, über Religion. Ich bekenne mich als Atheist. Die meisten der Jungs sind Moslime. Es ist grad die Zeit des Fastens. Deshalb geniesen sie die Nacht, denn ab glaub 4 Uhr dürfen sie bis 21 Uhr nichts mehr zu sich nehmen. Keine Nahrung. Keine Flüssigkeit. Nicht rauchen. Einer wollte mich anleuchten mit seiner Taschenlampe. Ich sagte nein, besser anonym.Die Jungs verkrichen sich irgendwann in eine andere Ecke der Plattform.
bis 2.30 Uhr Nur einer blieb auf der Parkbank sitzen. Wir unterhielten uns weiter. Schemenhaft sah ich seine Gestalt, sein Gesicht. Irgendwann meinte ich, dass er eine angenehme Stimme hat.
2.30 Uhr Alle 12 Jungs gehen nun. Großes Verabschieden. Stelle fest, nette Jungs. Wünsch ihnen alles Gute.Sie sollen bitte alle so bleiben, wie sie sind! Plötzlich Ruhe. Zu ruhig. Stille. Zu still. Nun bin ich wirklich allein.ALLEIN...GANZ ALLEINE...Irgendwann eingeschlafen..eingeschlafen...
5.30 Uhr Es wird hell. Ich mach ein paar Fotos von meinem Nachtlager. Wieder eingeschlafen.
6.00 Uhr Werde wach. Sehe die aufgehende Sonne. Nehme meine Kamera. Zur gleichen Zeit kommt der erste Jogger und fotografiert das gleiche Motiv wie ich.Wir sehen uns stillschweigend an.Ich nicke zum Gruß. Keine Worte fallen.Dann geht er wieder. Schlafe wieder ein.
8.30 Uhr Guten Morgen. Bin stolz auf mich. Ich habs getan. Ich hab hier geschlafen. Der Blick ist schön. Frühstücken. Gemütlich machen. Zwischen die Bruchsteine laufen und fotografieren.
9.00 Uhr Ein Mann mit Buch kommt gemütlich hinauf. Setzt sich und liest. Ab und an beobachtet er mich. Mit einem Lächeln.
9.20 Uhr der erste Fahrradfahrer fährt komplett hoch und stellt sein Fahrrad an die Bank. Die nächste Stunde wird er sich genüsslich sonnen. Ich klettere weiterhin um die Trümmersteine drumherum. Und fotografiere.
9.45 Uhr der zweite und kurz danach der dritte Fahrradfahrer.Eine kurze Runde und hinunter. 
10.30 Uhr die Reinigungskräfte der Stadt kommen. Den Müll von zwei Tagen wegräumen. Grillzeug. Bierflaschen. Plastebecher.Die Müllmänner sehen es nachlässig. Schmunzeld meinte der Eine, das er selbst gerne hier hoch geht zum Grillen. Auch wenn, es verboten sei.Ich erkundigte mich, wie oft sie hier hoch kommen mit ihrem Auto. Ich staunte...DREIMAL...DREIMAL in der Woche. Und in den Ferien sähe es schlimmer aus hier oben.
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11.15 Uhr Sehe einige Wanderer Richtung Gipfel hinauf kommen.
11.20 Uhr Von weiterem höre ich schon die nächste Gruppe.
11.30 Uhr Nein, jetzt muß ich definitiv gehen…denn...ab Mittag bist du hier nicht alleine. Einen letzten Blick über Stuttgart erhaschend....mit dem Bewußtsein...die Nacht und der Morgen waren sowieso viel schöner!!Packe meine Sachen zusammen und gehe mit einem Lächeln im Gesicht.
11.35 Uhr Treffe unterwegs ein Rudel von älteren Herrschaften.Sie sitzen gemütlich auf der Bank. Stelle allgemein fest, Wandersleut grüssen sich. Noch mehr...Es kommt sogar öfters zu vertrauten Gesprächen als ob man sich schon lange kennt. Beschließe auf dem Weg nach unten. ICH SOLLTE ÖFTERS WANDERN GEHEN.
Ende?! Am Fuße des Birkenkopfes angelangt. Ende??! Da kennt ihr mich aber schlecht. Oder vielmehr meinen Schutzengel. Am Fuße des Birkenkopfs fragte mich ein älteres Pärchen, ob es denn weit wäre nach oben. Das war der Beginn einer Unterhaltung. Nach 5 min stellten wir fest, dass wir quasi ehemalige Nachbarn waren. Dass sie aus meiner Heimat stammen. Nach 1.5 h (inzwischen auf die Bank gesetzt) kennen wir unsere Lebensgeschichten in Kurzversion. Kichernd hörten wir uns sagen:
"DAS GIBT ES NICHT, DIE WELT IST KLEIN"…mitten in einem Stuttgarter Wald lernen sich Nachbarn aus einer Heimat kennen, die 600 km entfernt von hier ist. Und ihre Tochter und ich sind in die gleiche Schule gegangen.
14.30 Uhr Im Bus nach Hause.Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich denke zurück...
das kichernde Weib, an die 12 Jungs, an den Spaziergänger mit seinem Buch, der Reinigungstrupp, die lustige Wandergruppe auf der Bank und nicht zuletzt...das Pärchen am Fuße des Birkenkopfes.Werde ich meine Landsleute wiedersehen? Welch bewegende Stunden für mich.
Fazit meiner Übernachtung: WAS FÜR EIN KOMMEN UND GEHEN DA OBEN !! Und das mitten in der Woche.
Mimis Tagebuchauszug von Mittwoch, den 17.7.bis darauf folgenden Tage. 
Liebe Grüsse von Mimi aus "UnsererKünstlerVilla Manu-Mimi-Marie"